Klarheit statt Kostümfest – so lernen Sie Ihren neuen Chef schnell und gut kennen
Der Chef ist ein Choleriker, das Team chronisch überlastet und die Strategie wechselt jede dritte Woche – eine so drastische und schonungslos ehrliche Situationsbeschreibung werden Sie im Vorstellungsgespräch selten erhalten.
Umso wichtiger ist eine gute Vorbereitung und dass Sie mit cleveren Fragen den Dingen selbst auf den Grund gehen. Statt darüber zu rätseln, ob die schief sitzende Krawatte oder die Bilderbuch-Handschrift ihres Gegenübers nun auf einen chaotischen oder super-akribischen Chef/in schließen lässt, sollten Sie besser direkt nachfragen.
Ein paar Anregungen gefällig? Bitte sehr!
Was waren die ausschlaggebenden Punkte, die Ihr Interesse geweckt und mir damit die Einladung zu diesem Gespräch verschafft haben?
Ein guter Einstieg, der Sie direkt nochmal in ein gutes Licht rückt. Und Sie merken hier schnell: Hat Ihr Gegenüber die Unterlagen genau angeschaut oder nur überflogen? Hängt er oder sie an Fakten und Rahmendaten aus Ihrem Lebenslauf, war es ein spezifisches Projekt oder ein paar besondere Soft Skills, die das Interesse geweckt haben? Achten Sie nicht nur auf den Inhalt der Antwort, sondern vor allem auf die Reaktion – kommt die Antwort schnell, authentisch oder eher dahergestammelt? Sammeln Sie Ihre Eindrücke und fügen die einzelnen Puzzleteilchen dann zu einem Stimmungsbild zusammen, das Sie in Ihre Entscheidung für oder gegen die Stelle miteinbeziehen.
Vor welchen aktuellen Aufgaben steht Ihr Team gerade und in den kommenden Monaten?
Diese Frage bietet Ihnen die Chance, etwas über Ihre künftige Rolle und Aufgaben zu erfahren. Diese müssen nämlich nicht unbedingt zu 100 Prozent mit der veröffentlichten Stellenanzeige übereinstimmen. Außerdem können Sie hier bereits heraushören, was gerade besonders wichtig ist, wo Druck herrscht und welche Deadlines vielleicht längst überzogen wurden. Spannend ist, wie Ihre künftigen Kollegen und Vorgesetzten damit umgehen – schulterzuckend, kleinlaut oder gleichgültig? Strecken Sie Ihre Fühler aus und hören Sie aufmerksam zu, dann könnten Sie eine Menge Insiderwissen erfahren!
Mit welchen anderen Teams und Abteilungen arbeitet Ihr Team besonders eng zusammen?
Diese Antwort wird Sie wohl selten überraschen. Interessanter ist: Wie wird über die Schnittstellen und anderen Kollegen gesprochen? Hören Sie bereits Spannungen heraus? Wird der Tonfall gar abfällig oder herablassend? Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, ob Ihnen der Ton dieser Antwort gefällt oder Sie eher nachdenklich stimmt.
Wie werden in Ihrer Abteilung Entscheidungen getroffen?
Kommt jetzt knallhart die Antwort „Top-down von mir“ des künftigen Vorgesetzten oder folgt ein langer Vortrag über schwurbelige Schleifen der Entscheidungsfindung, bei der jeder gefragt und am Ende keiner zufrieden ist? Überlegen Sie sich auch hier, ob die Art der Antwort Ihrer bevorzugten Arbeitsweise entgegenkommt oder überhaupt nicht zu Ihnen passt.
Wenn wir in einem halben Jahr zurückblicken und Sie bewerten, ob ich meinen Job gut gemacht habe – woran orientieren Sie sich?
Das Beste kommt zum Schluss: Mit dieser Frage bringen Sie die Erwartungshaltung Ihres künftigen Arbeitgebers in Erfahrung. Und die kann je nach Unternehmen oder Person ziemlich unterschiedlich ausfallen! Wo für den einen KPIs und Fakten zählen, legt der andere Wert auf eine gute Integration ins Team und das Einbringen innovativer Ideen. Auf dieser Basis können Sie die fremde Erwartungshaltung mit Ihrer eigenen abgleichen – ist die gemeinsame Schnittmenge groß, haben Sie gute Chancen, an Ihrem neuen Arbeitsplatz glücklich zu werden.
Trauen Sie sich, Fragen zu stellen! Schließlich dient ein Vorstellungsgespräch beiden Seiten dazu, sich besser kennenzulernen und abzuwägen, wie gut eine Zusammenarbeit funktionieren könnte. Fragen Sie neugierig und hören Sie aufmerksam und offen zu, dann sind Sie nach Ihrem Gespräch sicherlich schlauer als vorher!
Caroline Tillmann